Taxifahren in Shanghai

Taxifahren ist überall auf der Welt ja immer spannend. Während man in Deutschland üblicherweise Taxis verzweifelt sucht (die stehen ja immer irgendwo versteckt), man in New York zwar tausende Taxis sieht, aber nie eins frei ist, in Griechenland man üblicherweise die dreifache Strecke gefahren wird ist es in China üblicherweise das Kommunikationsproblem.

He – klar – ich kenn mich ja aus. In jedem Hotel liegen ja diese kleinen Kärtchen mit der Adresse in chinesisch, denn sonst kommt man nie im Leben wieder zurück. Ich kenn mich aus. Und ich war vorbereitet – die Adresse von der Firma habe ich mir per e-mail schicken lassen, auf chinesisch und sogar mit Bild. Eigentlich kein Problem – oder?

Netterweise stehen heutzutage in Shanghai an jeder großen Taxistation englisch sprechende Einweiser, denen man das Ziel sagt und die dann dem Taxifahrer übersetzen, he wie praktisch. Dàshà D - 108,1733, shànghǎi mǐnxíng qū liánhuā nánlù, sagt der Einweiser meiner Taxifahrerin. Einfach, gell. Ich merke schnell, die Taxifahrerin ist ne Cholerikerin, streitet sich statt loszufahren erstmal lauthals mit anderen Taxifahrern, nach meiner Meinung ging es darum, dass sie sich wohl diese lukrative Tour geschnappt hat, immerhin geht es eine Stunde lang in die Stadt, 200 RMB. Aber vielleicht hat sich auch nur nach dem Wetter gefragt, was weiß ich was „Zhè shì wu de chūzū chē na báichī“ heißt.

Während der Fahrt schreit die Dame weiter eine halbe Stunde lang in ihr Handy, während sie mit 150 Sachen mit dem klapprigen VW Santana über die Autobahn rast. Ha ok, immerhin guckt sie während der Fahrt nicht gleichzeitig fern, wie ich es mal im Mailand während eines Fußballspiels erlebt habe. Aber immerhin kam ich da an mein Ziel, trotz des Fernsehers.

Nun aber die eigentliche Story: Mitten in Shanghai auf einer 6 spurigen Straße hält die Dame einfach an und fuchtelt wild mit den Armen und fängt an mit mir zu reden. „Xiǎnshì wǒ de qīngdān“ oder so ähnlich. Nun, mein chinesisch ist nicht perfekt, aber ich verstehe – sie möchte sicher den Zettel mit der Adresse sehen. Ha – ich bin ja vorbereitet, siehste. Sie studiert den Zettel ziemlich genau, brummt, und weiter geht es. Rechts links, geradeaus, eine schöne Stadtrundfahrt. Viel hat sich hieer verändert in 12 Jahren seitdem ich das letzte Mal hier war. Erste Erkenntnis: Es gibt viel mehr Autos. Mir ist schlagartig klar, warum es VW so gut geht. Wenn mir jemand sagen würde, VW wäre eine chinesische Marke – ich würde es glauben. Passt ja auch zu Volkrepublik, gell. Vielleicht ist VW deshalb so beliebt? Aber das war auch vor 12 Jahren schon so, die Santanas von damals wurden allerdings abgelöst, durch Passat und Touran, die hier beide aber trotzdem weiterhin Santana heißen. Warum ist mein Taxi eigentlich noch so ein alter Santana, wenn um mich rum alle in schicken, neuen Autos rumfahren. Aber ok, jetzt einfach aussteigen wäre auch nicht gut. Obwohl, es wär sicher besser gewesen. Zweite Erkenntnis:  Es gibt auch weiterhin die Fahrradstraßen neben der Autostraßen. Aber: Wo sind all die Fahrräder geblieben? Überall Scooter, Motorräder und Mofas. Tja, der Fortschritt. Bei uns ist ja eigentlich ein Fahrrad der Fortschritt, hier ist es andersherum. Dritte Erkenntnis: Es ist alles ziemlich europäisch hier. Oder ist das der normale Fortschritt? Es muss wohl das Ziel jeden Menschen auf der Erde sein, so zu leben wie wir es gewohnt sind? Reihenhaus, Auto und ein Handy am Ohr. Ich habe sogar Chinesen mit einem Pudel an der Leine Gassi gehen sehen. He – früher haben die sowas gegessen. Oder haben die nur ihr Abendbrot ausgelüftet? Wir fahren vorbei an IKEA, Metro, Carrefour und Decathlon. Ja, ich bin noch in China, denn IKEA heißt 宜家.

Aber zurück zur Story, ich sitze ja im Taxi. Plötzlich dreht die Dame einfach völlig regelwidrig um, überfährt eine Straßeninsel, nimmt fast die Ampel (die hier alle LED-digital mit Restlaufanzeige sind) mit und fährt wieder in die andere Richtung. Wieder an IKEA, Metro, Carrefour und Decathlon vorbei, nur in der anderen Reihenfolge. Ich werde unruhig. Und plötzlich hält sie einfach an und macht mir klar, dass ich aussteigen soll. Qǐng dédào, dabei wedelt sie wieder wie verrückt mit den Armen. Ich werde noch unruhiger, denn das sieht hier alles ganz anders aus, als auf meinem Bild (das war ne gute Idee mit dem Bild, danke an die Kollegen aus der Firma, die kennen das scheinbar schon). Ich halte ihr mein Bild vor die Nase, nein, wir sind noch nicht da. Wú. Soviel gibt mein chinesisch noch her. Wuwu. Sie zeigt wie wild auf die Hausnummer. 1733, stimmt. Aber scheinbar eine andere Straße, was weiß ich. Nein, ich steige nicht aus, basta. Sie ruft verzweifelt einen Passanten in jüngerem Alter, die sprechen ja netterweise meist englisch. Ich mache ihm klar, ich will zu NIVEA, 1733 Lianhua Road, Minhang District. Ah, Minhang, das ist ja ganz woanders. Sache geklärt, weiter geht es. Uff. Nach 15 Minuten wird sie langsam, sucht Hausnummern. Ich lese 1233, nein, das kann nicht richtig sein. Leider scheint die Dame mit Zahlen nicht so richtig umgehen zu können, denn bei 1201 fährt sie noch geradeaus weiter. Was nun, mein chinesisch geht nur von „guten Tag“ über „ja“ und „nein“. Ich versuchs mit den Armen, was auch sofort Wirkung zeigt. Abermals dreht sie einfach um, fährt wahrlos ein paar Passanten um, um dann im Schritttempo auf der anderen Seite zu versuchen die Hausnummern ausfindig zu machen. Wenn sie in dem Tempo von 1230 zu 1733 will, dann wird das noch dauern. Ich werde immer nervöser. Auf dem Rücksitz finde ich ein Schild „Should you have problems communicating with the driver, please call 67543712“. Gute Idee. Leider ist da besetzt. Wahrscheinlich haben zur gleichen Zeit mehrere Personen das gleiche Problem wie ich. Ist ein gutes Gefühl, da ist man wenigstens nicht so allein ;-) Aber tatsächlich erreichen wir in Kürze die Nummer 1730, prima. Anhalten, aussteigen bitte. Aber nein, das tu ich nicht. Diese 8-spurige Straße möchte ich nicht zu Fuß überqueren und außerdem, auf der anderen Seite ist eine Wohnanlage, nicht Nivea. Ich zeige ihr erneut mein Bild, versuche ihr verzweifelt klarzumachen, dass ich dorthin will und es nun wirklich hier nicht so aussieht, oder? „Wǒ lèile. Pāndēng shì róngyì de, wǒ liú zài hépíng“ hält sie entgegen. Tja, dieser blöde Turm in Babel. Ich bin verärgert darüber, dass wegen eines angeblich zu hohen Turms (91 m !) der Gott die Menschen mit verschiedenen Sprachen bestraft. He – hier stehen viel höhere Türme mittlerweile. Irgendwann ist ja auch mal gut. Na ok , ich werde das Problem der Weltsprachen hier und heute nicht lösen und zeige verzweifelt auf das Schild im Taxi mit der rettenden Telefonnummer. Ah, gute Idee, sie nimmt ihr Handy und in der Tat – da scheint jemand an der anderen Seite zu sein. Wildes chinesisches Gerede und dann ein erhellender Blick. Und ahhh, Shi, shi. Wunderbar. Und los geht es. Wieder eine wilde Wendung, gottseidank hatte der Bus, der auf uns zukam, funktionierende Bremsen. Nach 5 min parkt sie glücklich und zufrieden vor einem Hotel. Und öffnet die Tür.

Ich bin verzweifelt. Soll ich anfangen zu weinen? Ich will nach Hause. Und ich gebe auf. Nein, ich will jetzt nicht in irgendein Hotel, ich will ins Büro. Aber Hotel ist gut, da gibt es andere Taxen, da gibt es englischprechendes Personal und zur Not ein Zimmer, in dem ich mich ausweinen kann. Ich steige aus. Ende.

Aber so schlimm wurde es dann nicht – beim aussteigen erspähe ich ein blaues Schild mit NIVEA. Und ein Pfeil, der eindeutig eine Richtung anzeigt. Es sind nur 100m bis zum Büro, die kann ich laufen, auch wenn ich völlig fertig bin. Ich bin da!

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